Ick bin een Berliner. Sowohl geboren als auch Wahlberliner, um genau zu sein. Mit 19 bin ich zum Studium nach Greifswald gezogen und mit 22 dann nach Tampere, Finnland. Und erst nachdem ich fortgezogen bin, habe ich gemerkt, was für eine außergewöhnliche Stadt Berlin eigentlich ist und wie glücklich ich mich schätzen kann, dort aufgewachsen zu sein. Zum ersten aus praktischen Gründen: ich gehe selten in Großstädten verloren, weil ich von klein auf gewohnt bin in einer Großstadt zu navigieren. Und zum zweiten: Berlin ist einzigartig mit seiner Mischung von Geschichte, neuen Strömungen, Hoch- und Popkultur. In Berlin trifft man die Welt und die Welt trifft sich in Berlin. Der einzige Nachteil? Berlin hat so viele Facetten, dass es schnell zum sprichwörtlichen unübersichtlichen "Großstadtdschungel" verkommt und man den Wald - in diesem Fall interessante Örtlichkeiten, Museen, Kunst - vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Denn das Angebot an allem ist enorm und um eine informierte Entscheidung zu treffen, fehlt einem meist die Zeit und um einfach drauflos zu laufen und alles mitzunehmen, was einem über den Weg läuft, erst recht. Und dazu kommt das mittlerweile so bekannte FOMO-Syndrom (fear of missing out). Deswegen möchte ich euch hier eine meiner Lieblingsnachbarschaften in Berlin vorstellen, das Scheunenviertel.
Das Scheunenviertel (das mir auch schon unter dem Pseudonym Spandauer Vorstadt verkauft wurde) liegt nördlich der Spree, direkt über dem Zentrum und Unter den Linden. Einfach zu erreichen mit der S- und U-Bahn von den Bahnhöfen Friedrichstraße, Oranienburger Straße und dem Hackeschen Markt, bildet die Oranienburger Straße ein wenig den Ausgangspunkt aller Akivitäten, die sich hier finden. Die Neue Synagoge ist eines der Wahrzeichen und bekannten Touristenziele an der Oranienburger Straße, aber was es hier zu sehen gibt, geht weit darüber hinaus. Direkt an der Ecke Friedrichstraße/Oranienburger Straße findet man das Kunsthaus Tacheles, ein ehemals staatlich gefördertes Kunstzentrum, das dieser Tage geschlossen ist, von außen aber einiges hermacht. Als ich zuletzt dort war, habe ich Menschen im Inneren gesehen, ich weiß allerdings nicht, ob das Wohnungsbesetzer sind oder rechtmäßige Anwohner (was ich aufgrund des Zustandes des Hauses bezweifle, aber wer weiß), dementsprechend habe ich nicht versucht, irgendwie ins Gebäude hineinzugelangen.
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Detailbilder der Fassade in Richtung Oranienburger Straße
Recht ironisch, wenn man die Fassade des Hauses so sieht...
Weiter die Oranienburger Straße entlang, nahe der Synagoge ist das alte Postfuhramt, ein eindrucksvolles Gebäude, das zur Zeit leider gerade renoviert wird, weswegen ich kein Foto des Hauses habe. Dann findet sich dort direkt vor der Synagoge (wenn man aus Richtung Friedrichstraße kommt) der Eingang zu einem Hinterhof. Oder besser gesagt, einer Reihe von Hinterhöfen, nämlich die Heckmann Höfe. In dieser fast schon Oase finden sich im mittleren Hof einige Geschäfte und ein Restaurant, aber auch der Hinterhof danach lässt sich sehen mit seiner Grüngestaltung. Hier könnte man glatt vergessen, dass man sich mitten in einer Großstadt, ja, mitten in ihrem Zentrum befindet.
Er greift nach seinen sieben Sachen und beendet seine Träume vor der dunklen Wärme seines Kaffees...Street Poetry in allen Durchgängen
Der Hof, der an die Augustusstraße grenzt ist eine grüne Oase inmitten der Großstadt
"Bühne ist jeder Sekunde im Leben Meinung geben" - in den Heckmann Höfen ist auch ein Theater zu finden
Street Art.
"Sie schließt die Haustür hinter sich, schiebt die Kapuze über den Kopf und betritt den Tag" - zurück in den Großstadttrubel
Hinterhöfe sind im Übrigen eines der auffälligsten bautechnischen Merkmale Berlins, eines der berühmtesten Beispiele dürften die Hackeschen Höfe sein, die ich hier nicht weiter erwähne, die aber auch direkt im Scheunenviertel liegen und Heimathafen für viele Boutiquen und Cafés sind. Da sich zu ihnen aber in jedem Touristenführer etwas finden lässt, möchte ich mich lieber auf andere, kleinere Sehenswürdigkeiten konzentrieren.
Etwas weiter die Straße entlang findet sich ein weiterer interessanter Innenhof, der Kunsthof, in dem ein Café und auch eine Galerie beherbergt sind. Gegenüber liegt fast direkt der Monbijou-Park mit einem kleinen Freibad für Kinder und wenn man durch ihn hindurchschlendert, findet man sich direkt an einer der unzähligen Strandbars entlang der Spree, gegenüber dem Bodemuseum wieder.
Entscheidet man sich aber, weiter der Oranienburger Straße zu folgen, landet man an der Großen Hamburger Straße, dem jüdischen Zentrum Berlins. Hier war einst das jüdische Quartier, von dem leider nicht mehr allzuviel zu sehen ist. Der alte jüdische Friedhof ist noch immer hier, davor ein Mahnmal und die Grundrisse eines Gebäudes. Diese Grundmauern gehören zum ehemaligen jüdischen Sanatorium, das hier einst stand, und in dem die Juden zu Zeiten des Nationalsozialismus zusammengetrieben und von dort weiter in die KZ's gebracht wurden. Der jüdische Friedhof ist ein stiller Ort, den man auch heute noch besuchen kann. Was mich persönlich beeindruckt hat, war die Aussage, dass die Bombenopfer aus den letzten Tagen und Luftangriffen des Zweiten Weltkrieges hier in Massengräbern bestattet wurden und dass so die Gebeine der zuvor hier bestatteten Juden und der Opfer der Bombenanschläge nicht mehr auseinanderzusortieren sind. Der Symbolismus ist offensichtlich; im Endeffekt sind wir doch alle gleich.
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Heutzutage findet sich hier aber auch das Magicum - ein Museum für Zauberei - und ein netter Vintage-Shop in dieser Straße, ebenso wie weiter die Straße hinab ein Café namens "Strandbad Mitte". Auch das ist Berlin, bewegende Geschichte und alltägliches Leben und Shoppen auf wenigen Quadratmetern.
Folgen wir nach diesem Abstecher weiter der Oranienburger Straße, kommen wir an den Hackeschen Höfen an. Geht man am Eingang zu diesen, dem Starbucks und dem Café Cinema (auch ein gutes Café) vorbei, steht man auf einmal vor dem Eingang zu einem weiteren Hinterhof. Einem etwas heruntergekommeneren Hinterhof. Hier ist das Haus Schwarzenberg, auch Teil des jüdischen Erbes Berlins mit dem Museum einer jüdischen Blindenwerkstatt, der Gedenkstätte für Stille Helden während des Nationalsozialismus und dem deutschen Zweig des Anne Frank-Hauses. Allerdings ist das Haus Schwarzenberg vor allem eines: inspiriert und mit etwas mehr edge als die Hackeschen Höfe, ist es ein Paradies für Freunde von StreetArt und Graffiti. Kaum ein Zentimeter Wand, der nicht mit Graffitti bedeckt wäre, Museen und viele kleine Ateliers und Artshops, sowie ein Monsterkabinett und ein paar Cafés und Streetfood Stände, damit ist das Haus Schwarzenberg definitiv auch einen Besuch wert.
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Haus Schwarzenberg, der charmant-verruchte kleine Bruder der Hackeschen Höfe
Treppenaufgang zu einem Artshop und der Eingang zum Kino/Monsterkabinett
Wenn man sich von hier wieder auf die Hauptstraße traut und einfach ein paar Meter weiter zur Sophienstraße geht, kann man bis zu den Sophie-Gips-Höfen (Nummer 21) gehen und dort im Barcomis eine der Kaffeesorten aus der hauseigenen Kaffeerösterei probieren. Auch das Essen dort kann sich definitiv sehen lassen und der Service ist manchmal sogar fast etwas überengagiert. Am Wochenende kann man hier auch frühstücken und insbesondere im Sommer ist es schön, in der Morgensonne im Innenhof zu sitzen und einen Bagel oder ein Scone zu essen. Allerdings sollte man am Wochenende definitiv im Vorraus einen Platz reservieren.
Damit auch kein Zweifel bleibt, wo man ist...
Blick in den Innenraum
Auch zum Mitnehmen findet man hier immer etwas
Und hier werden wir vom freundlichen Kellner verabschiedet :)
Heckmann Höfe: Oranienburger Straße 32/Augustusstraße (S Oranienburger Straße)
Postfuhramt: Oranienburger Straße 35 (S Oranienburger Straße)
Alter Jüdischer Friedhof: Große Hamburger Straße 26-27 (S Hackescher Markt)