Ich mochte Amsterdam, aber Warschau hat mich absolut begeistert.
Wo es in Amsterdam nach Cannabis und süßen Waffeln riecht, stinkt es in Warschau nach Abgasen und Urin. Wo Amsterdam piktoresk und schön ist, ist Warschau edgy und von Gegensätzen gezeichnet. In Amsterdam habe ich Prostituierte hinter Glastüren gesehen, in Warschau wurde ich in einem dreckigen Hinterhof von einer heruntergelebten Hure angesprochen, die ihre besten Jahre lange hinter sich hatte. Ich mochte beide Städte, aber jede auf ihre eigene Art.
Palast der Kultur und Technik und Skyscarper Zlota 55.
An Warschau hatte ich keinerlei Erwartungen, denn ich hatte zwar viel über den Wandel der Stadt von einer osteuropäischen Stadt in Ruinen zu einer trendigen und hippen Metropole gehört, aber Reiseführer sagen ja viel, wenn der Tag lang ist und so dachte ich, ich sehe einfach mal, was auf mich zukommt. Dementsprechend überrascht war ich, als ich zuerst einmal einem Wolkenkratzer gegenüber stand, der mich entfernt an das Empire State Building erinnerte. Ein Geschenk von Stalin, mit dem bescheidenen Namen "Palast der Kultur und Technik". Warschau ist eine Stadt der Widersprüche: historische Gebäude neben Wolkenkratzern, Huren neben russischen Milliardärstouristen, der Gestank von Urin und der Geruch von Chanel No. 5. Warschau ist schön, edgy, dreckig, verfallen, gepflegt und das alles innerhalb von wenigen Hausnummern. Nicht überall, aber vielerorts reihen sich glänzend neue Stahlglas-Fassaden nahtlos ein in Häuserzüge geprägt von abrissreifen Häusern, deren Fenster vernagelt oder zugemauert sind. Auch der Palast der Kultur und Technik ist umgeben von abrissreifen Häusern und atemberaubenden Wolkenkratzern. Warschau ist nicht hübsch, aber sehr reizvoll und interessant. Und überall findet man Spuren seiner bewegten, blutigen und dunklen Geschichte, egal wie sehr sich die Stadt bemüht, diese wegzurenovieren, wo sie nicht erwünscht sind. In der Straße Prozna stand bis vor Kurzem der letze erhaltene Straßenzug aus den Zeiten des Warschauer Ghettos, komplett mit Einschußlöchern in den Hauswänden. Diese wurden und werden jetzt restauriert. Man möchte nicht, dass die Anwohner sich von den Geistern der ermordeten Juden verfolgt fühlen.
Erinnerungen an eine dunklere Vergangenheit, wo einst das Ghetto war. An einem Fenster stand: "My Family Roots"
Man möchte an sich gerne Anwohner anlocken. An anderen Stellen wird jedoch mit Pathos und Stolz an die Helden des Ghetto-Aufstandes 1943 und des Warschauer Aufstandes 1944 erinnert. Beide Aufstände hatten die Nationalsozialisten zum Gegner und beide waren gekennzeichnet von einer starken Unterlegenheit der Einwohner gegenüber den Besatzern. Der Ghetto-Aufstand dauerte trotz der schlechten Bewaffnung der Einwohner und deren Hungerleiden und sonstigen Krankheiten 28, der Warschauer Aufstand 63 Tage. Beide Aufstände zeugen von der Wehrhaftigkeit der Warschauer und von ihrem Willen für ihre Stadt zu kämpfen, beide wurden blutig niedergeschlagen, erst das Ghetto und dann die Stadt weitgehend zerstört. Ein weiterer Grund dafür, dass vom Ghetto nur noch wenig erhalten ist. Das einzige was man noch sehen kann, sind die besagten Häuser in der Ulica Prozna, der letzte Rest der Ghetto-Mauer, der in einem Hinterhof die Wohnhäuser Ulica Sienna 55 und 57 voneinander trennt, sowie in die Gehwege eingelassene Markierungen an einigen markanten Stellen entlang derer sich die Ghettomauer zog. Doch der Geist des Ghettos ist noch überall in der Gegend zu finden. Und das ganz fassbar. Man muss sich nur umsehen und stellt fest, dass die Häuser in der Gegend des Ghettos stellenweise etwas höher stehen als die im Rest der Stadt, dass die Straßen nicht ganz eben sondern etwas hügelig sind. Das liegt daran, dass es während des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg zu teuer gewesen wäre, ein so großflächiges Gebiet zu räumen und so baute man einfach auf den Ruinen des Ghettos das neue Warschau.
Der letzte Rest der Ghettomauer in einem Hinterhof
Erinnerung an den Verlauf der Ghettomauer
Für die Altstadt hingegen fand sich Geld. Vom Staat, aber auch von Sponsoren. So historisch die Altstadt aussieht, so faszinierend der Königspalast ist, der sich bis weit in die Geschichte zurückdatieren lässt, so sehr trügt der Eindruck. Denn die gesamte Warschauer Altstadt ist im Krieg bzw. in den Tagen in denen die Nazis die Stadt verließen, zerstört worden. Um dann mühevoll und auf Grundlage alter Fotografien und Gemälde des Malers Canaletto. Insbesondere der Königspalast verdankt seinen detailgetreuen Wiederaufbau dem italienischen Maler.
Ich möchte hier keinen Reiseführer zusammenstellen, denn die findet man überall, vielmehr möchte ich sagen, was mir an Warschau besonders gut gefallen hat:
1. Die neue Mitte rund um den Palast der Kultur und Technik
Besonders ein Besuch der Aussichtsterasse im 30. Stock lohnt sich, aber auch sonst finden sich hier alle wichtigen Geschäfte in der Nähe, ob man nun in das Shoppingcenter Zlote Tarasy geht oder sich in den Metropassagen unterhalb des Platzes verirrt. In den Zlote Tarasy gibt es ein Restaurant, das auch polnische Spezialitäten anbietet. In Buffetform. Das bedeutet, man nimmt sich, was man probieren möchte, und zahlt dann nach Gewicht des zusammengestellten Tellers.
2. Das Museum des Warschauer Aufstandes
Hier erinnert man mit Stolz an den Aufstand der Warschauer im Angesicht eines übermächtigen und brutalen Gegners. Allerdings muss man diese Ausstellung mit Vorsicht genießen, denn bisweilen sind die Videos aus der Zeit extrem brutal, einige sind verstörend. Als Deutsche habe ich mich hinterher schwergetan, ein Gefühl des Fremdschämens abzuschütteln. Allerdings hatte das nicht nur mit meiner Herkunft zu tun. Sicherlich hat man viele der Greueltaten erzählt bekommen, man hat über und von ihnen gehört, aber ein Zeuge zu sein, wie diese Grausamkeit eine komplette Stadt verändert und einen Großteil ihrer Bewohner das Leben gekostet hat, das ist etwas anderes. Konkrete Folgen des Terrors zu sehen, macht das alles greifbarer, insbesondere in einer Stadt, die so sehr darunter zu leiden hatte wie Warschau. Das Gefühl, das sich jedoch am vordergründigsten einstellte, war die Frage: "Wie können Menschen anderen Menschen so etwas antun oder dabei zusehen, wie diese Dinge getan werden? Wie haben die Beteiligten damals ihre Taten gerechtfertigt?" Und das wiederum ist im Sinne des Museums. Man gedenkt derer, die sich mutig dem Terror entgegenstellten und für ein freies Polen kämpften, die für ihre Heimat kämpften, und gleichzeitig zeigt man, dass etwas so Grausames sich nie wieder ereignen darf.
Denkmal der Helden des Warschauer Aufstandes
3. Palast und Garten Lazienkowski
Hier habe ich mich mit einem Mal in einem chinesischen Pavillon neben Tai Chi-Sportlern wiedergefunden und durfte dann den Palast auf dem Wasser und die reproduzierten Ruinen des Forum Romanum bewundern. Gerade für Spaziergänge sehr geeignet und etwas zu sehen gibt es alle naselang.
Der chinesische Garten
4. Die Altstadt
Mit all ihren gewundenen Gassen, der Syrenka, dem Wahrzeichen Warschaus und den Kamienne Schodki, den Steintreppen. Fast könnte man vergessen, dass all das wiederaufgebaut wurde und nicht hunderte von Jahren alt ist.
In der Altstadt: The Little Insurgent-Denkmal vor der Stadtmauer, Kamienne Schodki
Nach Warschau gekommen bin ich sehr günstig mit der Deutschen Bahn; von Berlin aus habe ich pro Richtung gerade einmal 29e bezahlt. Die Fahrzeiten waren dafür ebenfalls optimal, ich bin morgens um 6:40 in Gesundbrunnen abgefahren und dann über Lichtenberg und Frankfurt/Oder nach Warschau gefahren. Die Fahrt dauerte etwa 5 Stunden, um 12 war ich da. Am nächsten Tag ging es abends um 17:50 vom Warschauer Hauptbahnhof zurück. Theoretisch könnte man also aber auch in den fünf Stunden zwischen den Zügen zumindest etwas von Warschau sehen.
Übernachtet habe ich in einem Hostel für 11e/Nacht in einem Raum mit drei weiteren Mädels (Chill Out Hostel gebucht über booking.com). Insgesamt habe ich mit Essen und Museumseintritten nur 119e bezahlt, Geld hatte ich zuvor in Berlin gewechselt und mehr habe ich nicht gebraucht.
Bei meinem nächsten Warschau-Besuch auf dem Programm: Museum der Geschichte der Polnischen Juden
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